Positive Psychotherapie

– eine Methode der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie –

Patienten, die als erstes einen Allgemeinarzt aufsuchen, führen ihre Störung häufig auf somatische (körperliche) Ursachen zurück, auch wenn psychische (seelische) oder soziale (beziehungsbezogne) Komponenten bei ihrer Krankheitsgeschichte eine wesentliche Rolle spielen.

Dies ist so, weil sich viele Störungen mit körperlichen Symptome zeigen.

Es ist aber auch bedeutsam, dass körperliche Krankheiten in unserer Gesellschaft als nicht vom Kranken schuldhaft verursacht gelten.

Werden die Patienten dann mit der klassischen psychiatrischen Fragetechnik konfrontiert, sind oft Missverständnisse und Widerstand die Folge.  Z.B. können Fragen nach Stimmung, Gereiztheit, Antrieb oder Schuldgefühlen als Abwertung interpretiert werden. Der Patient wird sie deshalb möglicherweise ausweichend oder bagatellisierend (als geringfügig darstellend) beantworten.

Der Arzt benötigt aus diesem Grund eine psychosomatische Grundkompetenz, um Zugang zum Patienten und seinem Problem zu finden und die eigentliche Problemlage herauszufiltern. Nur dann kann eine angemessene Behandlung für die körperliche, die seelische oder die soziale Situation gefunden werden.

Letztlich aber sind ja Körper und Seele nur zwei sprachliche Begriffe, die den selben Prozess beschreiben – nur jeweils aus einem anderen Blickwinkel; und beides findet immer in einer (u.a. sozialen) Umwelt statt.

Nur in der Zusammenschau lässt sich das Ganze erfassen und der entstandene Krankheitsprozess, der ja auch ein Heilungsversuch ist, begreifen. Nur so können die Kraftquellen entdeckt und die falschen Vorstellungen entzaubert werden.

Die Positive Psychotherapie nach Dr. med. Nossrat Peseschkian bietet hier ein praxisnahes Instrumentarium, mit dem der Arzt rasch Zugang zum Patienten findet. Als hilfreich erwiesen sich dabei vor allem:

  • Beschreiben der Situation, statt sie zu bewerten – z.B. als gut oder schlecht. Gebrauch von Alltagssprache zur Beschreibung der inneren Konflikte sowie die Verwendung von Geschichten, Spruchweisheiten und Anekdoten. Sie helfen, sich von der durch die Symptomatik eingeschränkten Sicht zu distanzieren (Aus der Ferne sieht man manches anders.); helfen beim Standpunktwechsel und erschließen neuer Perspektiven wie auch bei der eigenen Auseinandersetzung mit der „Bildersprache“ der Seele.
  • Respekt vor dem intrapsychischen (innerseelischen) Widerstand des Patienten; denn eine solche Reaktion schützt den Betroffenen vor Überforderung und ist insofern (wenn auch nur für einen Teilbereich) sinnvoll – auch wenn dieses Verhaltensmuster manchmal das Kranksein fördert oder die Symptomatik sogar erst hervorruft. Durch positive Deutungen und Erschließung der im Symptom verborgenen Informationen stellen sich die zunächst störend empfundenen Symptome häufig als großer Gewinn heraus.
  • ein strukturiertes Vorgehen in fünf Stufen.

 

Die fünf Stufen der Positiven Psychotherapie

Zunächst geht es im Gespräch um einen ersten Eindruck vom Ist-Zustand, also der tatsächlichen Lebenssituation im Kontext (Umfeld) der Gegenwart, der Lebensgeschichte und der daraus entwickelten Vorstellungen und Konzepte über sich und die Welt sowie der aktuellen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Im weiteren Verlauf richtet sich das Augenmerk auf die zukünftige Entwicklung der Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten, mit Stress im weitesten Sinne gut umgehen zu können. Dazu werden Hilfen und Lösungsansätze zusammen erarbeitet oder angeboten; z.B. mit einer orientalische Geschichte wie: „Die Schwierigkeit es allen recht zu machen“.

Die Schwierigkeit es allen recht zu machen

Ein Vater zog mit seinem Sohn und einem Esel in der Mittagsglut durch die staubigen Gassen von Keshan. Der Vater saß auf dem Esel, den der Junge führte.

„Der arme Junge“, sagte da ein Vorübergehender. „Seine kurzen Beinchen versuchen mit dem Tempo des Esels Schritt zu halten. Wie kann man so faul auf dem Esel herumsitzen, wenn man sieht, dass das kleine Kind sich müde läuft.“

Der Vater nahm sich dies zu Herzen, stieg hinter der nächsten Ecke ab und ließ den Jungen aufsitzen.

Gar nicht lange dauerte es, da erhob schon wieder ein Vorübergehender seine Stimme: „So eine Unverschämtheit. Sitzt doch der kleine Bengel wie ein Sultan auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenherläuft.“

Dies schmerzte den Jungen und er bat den Vater, sich hinter ihn auf den Esel zu setzen.

„Hat man so etwas schon gesehen?“ keifte eine schleierverhangene Frau, „solche Tierquälerei! Dem armen Esel hängt der Rücken durch, und der alte und junge Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus, als wäre er ein Diwan, die arme Kreatur!“

Die Gescholtenen schauten sich an und stiegen beide, ohne ein Wort zu sagen, vom Esel herunter.

Kaum waren sie wenige Schritte neben dem Tier hergegangen, machte sich ein Fremder über sie lustig: „So dumm möchte ich nicht sein. Wozu führt ihr denn den Esel spazieren, wenn er nichts leistet, euch keinen Nutzen bringt und noch nicht einmal einen von euch trägt?“

Der Vater schob dem Esel eine Hand voll Stroh ins Maul und legte seine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Gleichgültig, was wir machen“, sagte er, „es findet sich doch jemand, der damit nicht einverstanden ist. Ich glaube, wir müssen selbst wissen, was wir für richtig halten.“

1. Stufe: Beobachten – Distanzieren (Abstand nehmen) – Positive Deutung

In der Beobachtungsphase (z.B. im Erstgespräch) nimmt dir Arzt die Klagen des Patienten empathisch (einfühlend) und ohne Wertungen entgegen. Dadurch entstehen innere Bilder von der Situation, die durch Nachfragen ergänzt und korrigiert werden.

Oft kann es dann sinnvoll sein, dem Patienten dazu eine Geschichte aus dem Instrumentarium der Positiven Psychotherapie vorzulesen oder ihn selbst vorlesen zu lassen. Auch Spruchweisheiten können zu einer Distanzierung des Patienten und zu sofortiger Entlastung führen. Beispiele für eine positive Deutung der Krise sind Sätze wie: „Manchmal leiden wir auch an unseren Vorzügen“ oder „Jede dunkle Nacht hat ein helles Ende“.

2. Stufe: Inventarisierung (Bestandsaufnahme)

Diese Stufe dient der Klärung und Orientierung – mit dem Ziel, dass Patient und Arzt sich einen Überblick über die Belastungen, Konflikte und Ziele verschaffen; z.B. mit der Frage: „Was ist in den letzten 5 – 10 Jahren alles auf Sie zugekommen?“ oder „Was möchten Sie mit der Therapie für sich erreichen?“

Sie soll helfen, belastende Lebensereignisse zu Tage zu fördern. Häufig genannte große Ereignissen (Makrotraumen) sind z.B. Tod, Trennung, Scheidung, Ärger am Arbeitsplatz, finanzielle Sorgen, Krankheit beim Patienten oder in der Familie, bei Freunden oder Nachbarn. Daneben sind aber auch oft Mikrotraumen von großer Bedeutung; also die kleinen Dinge, die wir meist nicht einmal für erwähnenswert halten; z.B. die unverschlossene Zahnpastatube, die Unpünktlichkeit des Partners.

Auf Fragen wie: „Was regt sie zur Zeit am meisten auf?“ – kommen (fast) immer Antworten, die den Therapeuten zum Konflikt führen. Denn Mikrotraumen wirken nach dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein“ und belasten die zwischenmenschlichen Beziehungen.

Gesund ist nicht derjenige, der keine Probleme hat, sondern der, der in der Lage ist, mit ihnen angemessen umzugehen.

Sind die Lebenskräfte in Balance (im Gleichgewicht)?

Ein Balancemodell der Positiven Psychotherapie bezieht sich auf unsere Mittel, zu Erkenntnissen zu kommen. Angewandt auf den Lebensstil des Patienten beleuchtet und ordnet das Modell die energetische Verteilung der Lebenskräfte, die jedem Menschen innewohnen.

Die Medien der Erkenntnis

Hier werden also die Mittel beschrieben, über die wir unsere Informationen über die Welt sammeln:

  • Die Wahrnehmung des eigenen Körpers
  • Die Beschäftigung mit Dingen
  • Der Umgang mit anderen Menschen und ihrer Geschichte
  • Der kreative Akt unserer Bedeutungsgebungen

 

1. Bereich Köper / Sinne, Zeit für Sinnlichkeit, Selbst- und Fremdwahrnehmung

Hierher gehören Fragen nach Ernährung, Sport, Vorsorge, Ästhetik, Alkohol, Rauchen, Ruhepausen, Genussfähigkeit von Musik, Kunst, etc., allgemein das Gesundheitsbewusstsein

2. Bereich Leistung / Verstand und Handeln: Arbeitswelt

Hierher gehören Fragen nach der Arbeitswelt, dem Einkommen und Umgang mit Geld und Schulden, ebenso wie nach logischem Denken, Ordnungsdenken, etc.

3. Bereich Kontakte / Traditionen und Beziehungen

Hierher gehören Fragen nach Kontakten innerhalb und außerhalb der Familie, Freundschaften, sozialer Tätigkeit, etc.

4. Bereich Phantasie / Zukunft und Sinngebung

Hierher gehören Fragen nach Lebenszielen, Fähigkeit zum Tagträumen und Nichtstun, Lesen, Kino, Religiosität, Sinn des Lebens, kreativen Tätigkeiten, etc.

Nur wer in der Balance ist, ist auch in der Lage Makro- und Mikrostress gut zu verarbeiten.

Durch sein Symptom zeigt der Patient eine Möglichkeit, wie er aktuell versucht, die als Stress empfundenen Bereiche zu bearbeiten – jedoch ohne den erwünschten Erfolg.

z.B. ist für einen depressiven Menschen eine hohe energetische Besetzung der Bereiche Körper/Sinne und Leistung/Verstand typisch. Dies entspricht den derzeitigen Leitbildern der westlichen Welt. Demgegenüber werden die Bereiche Kontakt und Phantasie/Zukunft nicht genügend angesprochen bzw. sie sind negativ besetzt.

In der Auseinandersetzung mit dem Balancemodell wird dem Patienten seine derzeitige Energie- oder Aufmerksamkeitsverteilung bewusst; er kann brachliegende Fähigkeiten entdecken oder eine veränderte Zukunftsperspektive entwickeln.

3. Stufe: Situative Ermutigung

Auf dieser Stufe richtet sich der Blick auf die Ressourcen (Hilfsquellen, ungenutzte Fähigkeiten oder Mittel) des Patienten.

Zusammen mit ihm werden alternative Reaktionsweisen besprochen und erprobt. Wir stellen die Frage: „Wie haben Sie bisher in dieser oder jener Situation reagiert und wie könnten Sie in Zukunft reagieren?“. Dieser Schritt steht unter dem Motto: „Willst Du etwas haben, was Du bisher nicht hattest, solltest Du etwas tun, was du bisher nicht getan hast.“

Wenn der Behandler den Eindruck gewinnt, dass Motivation und derzeitige Ressourcen des Patienten nicht ausreichen, den Kampf gegen die belastenden inneren Bedingungen zu gewinnen, kann durchaus auch eine medikamentöse Ergänzung der therapeutischen Strategie sinnvoll oder sogar erforderlich sein. Andererseits ist eine medikamentöse Therapie, z.B. einer Depression, ohne die Vorbereitung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung häufig zum Scheitern verurteilt. Es kommt nicht selten vor, dass Patienten ganze Einkaufstüten voller Antidepressiva auf den Schreibtisch stellen und sagen: „Dieses Zeug kann und will ich nicht einnehmen.“. Das Zusammenspiel mit dem Patienten und die zuverlässige Einnahme von Medikamenten (Complience) kann eben vom Therapeuten nicht von oben herab „angeordnet“ werden.

4. Stufe: Verbalisierung (Aussprechen)

In dieser Phase sollen die Bearbeitung der Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten  genauer beleuchtet werden; z.B. mit dem DIA-Fragebogen (Diagnostischen Inventar der Aktualfähigkeiten).

In dieser Stufe sollte spätestens der weitere Behandlungsauftrag geklärt werden.

Manchen Patienten reicht es, wenn sie gelegentlich ihr Herz ausschütten können, andere benötigen eine weitergehende Behandlung.

An dieser Stelle ist es auch wichtig, die Grenzen der therapeutischen Möglichkeiten zu zeigen und mit  dem Patienten alternative Behandlungsverfahren zu besprechen.

5. Stufe: Zielerweiterung

Der Patient benötigt für eine gewisse Zeit eine fürsorgliche Begleitung durch die Wirrnisse seiner Lebensumstände. Dabei ist es für den Behandler wichtig, sich nicht in den Sog des Lebenskonzeptes vom Patienten überzeugen und anstecken zu lassen, sondern der meist einseitigen Beschäftigungen mit Teilaspekten des  Lebens, z.B. dem Leiden, zu widerstehen. Die Aufmerksamkeit des Patienten ist immer wieder, geduldig und beharrlich, auf positive Lebensaspekte, z.B. auf die kleinen Fortschritte, auf werthaltige Ziele und Perspektiven zu lenken.

Mitunter beginnt der Patient über diesen Dialog (Zwiegespräch), Interesse an seinen unbewussten Vorgängen zu haben, möchte mehr über sich im Kontext (Umfeld) seiner Lebensgeschichte erfahren und ist auch zu echten Veränderungen bereit. Dann kann eine Psychotherapie im eigentlichen Sinne, eine eingehendere tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder Psychoanalyse empfohlen werden.

Literatur zum Thema: z.B.

Peseschkian N., (1977) Positive Psychotherapie, S. Fischer, Frankfurt am Main

Peseschkian N., (1979) Der Kaufmann und der Papagei, S. Fischer, Frankfurt am Main

Peseschkian N., (1991) Psychosomatik und Positive Psychotherapie, Springer, Berlin-Heidelberg

Rudolf G., Hennigsen P., (1998) Somatoforme Störungen, Schattauer, Stuttgart-New York



Nach oben | Zurück

Privatpraxis für Psychotherapie, Coaching und Supervision | Am Hain 2 | 35444 Biebertal Kontakt Anfahrt Impressum Datenschutz