Psychosomatik
Mein zentrales Thema herausarbeiten
Angeregt zu diesem Text hat mich eine Fortbildung in der Justus-Liebig-Universität Gießen aus dem Jahre 2008, deren Titel ich nicht mehr erinnere. Es ging um neue Forschungsarbeiten zum Thema soziale Phobie. Sprecher war, so erinnere ich mich, Prof. Dr. F. Leichsenring aus der Klinik f. Psychosom. u. Psychotherapie, Gießen, dem für die zentralen Inhalte die Ehre gebührt.
Psychodynamische Therapie / Tiefenpsychologisch fundierte Therapie
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens- und Lerngeschichte, den emotionalen Erfahrungen der Kindheit und den Beziehungsmustern der Ursprungsfamilie ist einer der zentralen Aspekte der tiefenpsychologischen Arbeitsorientierung.
Angestrebt wird die Rekonstruktion bzw. Konstruktion einer psychodynamischen Situation, in der inadäquat gelöste frühkindliche Grundkonflikte bearbeitet, heute problematische Konzepte überprüft, umgeschrieben und die „Reifearbeit“ der Persönlichkeit gefördert werden.
Im Fokus in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie steht der zentrale Beziehungskonflikt bzw. sein zentrales Thema, das aus 3 Komponenten besteht:
W = Wunsch
RO = Reaktion des Objekts auf den Wunsch
RS = Reaktion des Selbst auf die Reaktion des Objekts
Das Wort „Objekt“ ist hier nicht abfällig gemeint; so werden in der Sprache der Tiefenpsychologie die Anderen genannt. z.B. Vater und Mutter, Beziehungspartner oder Kollegen sind solche Objekte, die es real in der Welt „da draußen“ (reale Objekte), aber auch als innere Bilder (innere Objekte) in unserer Vorstellung, gibt.
Wenn Sie sich einmal beobachten, werden Sie feststellen, dass auch Sie oft im (gedanklichen) „Gespräch“ mit solchen inneren Objekten sind. Modellhaft spielen wir gedanklich Situationen durch, wir simulieren mögliche Situationen, betreiben Probehandeln, um auf (erwartete) reale Situation vorbereitet zu sein.
Wenn Sie dann allerdings genauer nachforschen, werden Sie wiederholt feststellen: es kommt oft anders, als man denkt.
Beispiel
Sohn erzählt dem Vater, dass er die beste Mattearbeit der Klasse geschrieben hat. Sagt der Vater: „Die anderen waren wohl noch schlechter als Du.“ Daraufhin habe ich ihm nie wieder etwas erzählt.
W / Ich möchte mich zeigen und wertgeschätzt werden. (oft unbewusst)
RO / Die anderen demütigen mich. (Erleben des Patienten)
RS / Ich habe Angst, mich zu zeigen und vermeide es. = Symptom
Ziel der Behandlung ist, das Thema des zentralen Beziehungskonfliktes zu finden, zu verstehen und das Symptom zu verringern bzw. überflüssig zu machen.
Die Arbeitsweise in der psychodynamischen Therapie ist supportiv-expressiv; das meint: stützend und deutend;
nach dem Prinzip: So viel deuten (aufdecken), wie möglich; so viel stützen, wie nötig.
Damit Sie eine Idee bekommen, was mit stützenden Maßnahmen gemeint ist, hier einige Beispiele:
• der haltgebende Rahmen: z.B. der Therapieraum als sicher Ort, das
Versprechen, auch im Konfliktfall wieder da zu sein, das regelmäßige Setting
• Ziele vereinbaren (z.B. Symptome verringern, Konflikt verstehen)
Bitte formulieren Sie – auf einem separaten Blatt für mich, eine Kopie für Sie – Ihre Arbeitsziele und Ihren Therapieauftrag, so konkret wie möglich.
Bitte schätzen Sie selbst ein, wie realistisch diese Ziele sind.
• Gemeinsames, (nur) auf die Ziele und das ZBKT bezogenes, Durcharbeiten
• Hilfreich ist es, an Ressourcen anzuknüpfen und neue aufzubauen
Bitte formulieren Sie, welche Kraftquellen und Fähigkeiten Ihnen bei der Lösung Ihrer Probleme nützlich sein könnten/werden.
• Angebot von empathischem Verstehen (statt Moralisieren oder Rechthaberei)
• Sympathie und Wertschätzung für den Patienten (nicht für sein Symptom)
• Lebenstüchtigkeit wird gefördert (z.B. mit realistischen Erwartungen)
• Zuversicht wird vermittelt, die Hoffnung, dass Ziele erreichbar sind
• Fortschritte bei Zielen werden anerkannt (Meilensteine benennen)
• Ein Wir-Bündnis wird gefördert;
das (gedankengenerierte) Gefühl, Allein und Ausgeschlossen zu sein endet
Für die aufdeckend-deutende Arbeit bekommen Sie nun folgende Hausaufgabe:
Bitte schreiben Sie 10 Beziehungsepisoden mit verschiedenen Personen, wie kurze Filmszenen, auf, die sich auf konkrete Vorfälle beziehen:
• Wann ist das Ereignis passiert?
• Wer war dabei?
• Was genau ist passiert?
• Was haben Sie sich in dieser Situation gewünscht?
• Was tat der andere?
• Was taten Sie?
• Wie ging die Situation aus?
Gemeinsam werden wir dann erarbeiten bzw. schreiben Sie für sich selbst auf:
• Mein Wunsch / …
• Reaktion des Objekts / …
• Meine Reaktion auf diese Reaktion / …
• usw., denn häufig entwickelt sich in unglückseliger Teufelskreis daraus
Was ist das häufigste Thema in diesen Szenen?
Das häufigste wird als das zentrale Thema Ihres Beziehungskonfliktes (mit sich selbst oder mit anderen) angenommen und als die „persönliche Problemformel“ herausgearbeitet.
Es empfiehlt sich, dass Sie die Antworten und Erkenntnisse dieser Ausarbeitung aufzuschreiben, damit Sie sich weiter damit beschäftigen können (1 Kopie davon bitte wieder für den Therapeuten).
Bei Ihrem Durcharbeiten machen Sie sich bitte immer wieder klar:
Wo, Wann, bei Wem und Wie zeigt sich das zentrale Thema?
• in der aktuellen Beziehung zum Therapeuten
• in aktuellen Beziehungen außerhalb der Therapie
• in früheren Beziehungen
Welche Konsequenzen werden/wurden daraus abgeleitet?
Ist das noch Zeitgemäß?
Wie sieht eine Handlungsalternative aus?
Im Rahmen der (kassengenehmigten) Therapie (meist nur 25 Std.) kann der Fokus nur beim zentralen Thema und auf dem formulierten Ziel liegen. Alles andere muss (vorläufig) ausgespart bleiben! „In kurzer Zeit lässt sich nur ein kleines Haus bauen.“
Dennoch sollten Sie sich überlegen – und auch in Ihrer Therapie ansprechen –:
Welche Funktion könnte das Symptom in meiner Familie haben?
Worin besteht mein passiver und aktiver Krankheitsgewinn?
Was passiert zwischen den Sitzungen?
Wie arbeitet ich mit dem Erarbeiteten / meinen Hausaufgaben weiter?
Habe ich meine Ziele im Blick?
Stelle ich mich – im Rahmen meiner aktuellen Möglichkeiten – Herausforderungen mutig?
Speziell im Rahmen von Herausforderungen empfiehlt es sich, eine „Herausforderungstreppe“ zu erarbeiten (z.B. meine Angsthierarchie – welches ist meine geringste bis zur größten Angst), wobei unten die leichteren Herausforderungen und oben die schwer erscheinenden stehen.
Beginnen Sie mit den leichteren Situationen und Aufgaben! Stellen Sie sich ihnen! Sammeln Sie Erfolgserlebnisse!
Ziel dieser Erfahrung ist es, das zentrale Thema ihres Beziehungskonfliktes zu widerlegen (d.h. Entkatastrophisieren, also erleben, dass die katastrophischen Erwartungen nicht eintreten).
Bitte beobachten Sie, wenn Sie sich einer Herausforderung stellen, genau, was passiert – am besten Sie dokumentieren:
• Was befürchte ich?
• Wie reagiere ich darauf?
• Was passiert in meinem Inneren?
• Wie reagiere ich darauf?
• Was passiert im Außen?
• Wie reagiere ich darauf?
• Passiert wirklich, was ich befürchte?
• Wie reagiere ich auf meine Erkenntnisse?
• Wie könnten alternative Reaktionsweisen aussehen?
Gemeinsam wird nachbesprochen, was und wie Sie erlebt haben, wenn Sie sich
• zunächst experimentell im Rahmen der Therapiestunde imaginär stellen,
• im Rahmen der Therapiestunde real der Herausforderung stellen,
• bei der Exposition außerhalb der Therapiestunde erleben:
RO / Widerlegen die äußeren Ereignisse Ihre Erwartungen?
RS / Wie war die eigene Reaktion?
W / Welche Bedeutung hat das für Ihren Wunsch?
Bitte achten auch Sie mit darauf, eine Halbzeitbilanz (ca. 12. Std.) zu ziehen:
• Was wurde bisher erreicht?
• Welche Ziele blieben unerreicht?
• Warum?
• Was bleibt noch zu tun?
Denn schon ab der 18. Std. soll das Therapieende am Horizont aufscheinen; d.h. mehr und mehr sollten folgende Themen in den Vordergrund der Gespräche rücken:
• Wie ist der Patient mit Unterbrechungen (z.B. ausgefallene Stunden, Urlaub) fertig geworden? Wie lässt sich an diese Erfahrung anknüpfen?
• Wie lauteten Ihre alten Wünsche, wie die neuen?
• Welche Werkzeuge enthält Ihr Notfallkoffer?
• Wie lauten Ihre Ziele jetzt bzw. für die Zeit nach der Therapie?
• Mit welchen Schritten können Sie Ihre Ziele erreichen?
Zum Schluss möchte ich noch auf die Möglichkeit eines ermutigenden inneren Dialoges eingehen und ihn fördern.
Jeder spricht sowieso mit sich bzw. seinen inneren Objekten. Je mehr wir dabei für das, was wir denken, Verantwortung übernehmen, desto größer wird der Spielraum unseres Handelns.
Einstein meinte sogar, dass wir nur das erkennen – folglich dann auch nur tun – können, was unsere Theorie hergibt.
Praktisch bleibt es sich gleich, ob jemand ein Glas als halbvoll oder halbleer sieht; dennoch macht es für den Betrachter (emotional und in den Konsequenzen, die er aus dieser Beschreibung ziehen wird) einen erheblichen Unterschied.
Für unseren Erkenntnisprozess erscheinen die Dinge immer polar, tragik-komisch oder gar mehrdeutig; die Beschreibung und Deutung liegt einzig bei uns. Und genau darin liegt die Chance auf ein glückliches Leben.
In real bedrohlichen Situationen, ist Angst ein wichtiger Schutzmechanismus, der die Aufmerksamkeit erhöht und Kräfte mobilisiert, von denen wir oft nicht einmal ahnten, dass sie in uns stecken. – Dieser Schutzmechanismus kann und wird allerdings auch von katastrophischen Erwartungen, also Gedanken, ausgelöst, die dann die gleichen Gefühle und körperlichen Reaktionen hervorrufen, wie wir sie in einer realen Bedrohungssituation gebrauchen würden, um der Gefahr zu entkommen.
Wenn der inneren Dialog dazu führt, dass Gefahr simuliert und entsprechende Reaktionen ausgelöst werden, ohne dass real reagiert werden kann, erschöpfen wir sinnlos unsere Potentiale. Insofern ist Angst meist kein guter Ratgeber. Um nicht in diese Falle zu tappen bzw. rechtzeitig wieder aussteigen zu können, gilt es zu wissen: Denn nur das bewusste Differenzieren und mutige sich Stellen, hilft.
• Welche Reize wirken als Auslöser?
• In welchen Situationen neige ich dazu, Gefahr zu „wittern“?
• Welche Gedanken wirken als Auslöser oder Reizverstärker?
• Welche Gefühle und körperlichen Reaktionen deute ich als Gefahr?
• Prüfe ich die Realität?
• Wo liegen meine Chancen? Wie kann ich mich ermutigen?
Erkenntnisse / Sätze, die Sie für sich finden, sollten Sie sich aufschreiben.
Damit können Sie Ihre „persönliche Ermutigungsformeln“ herausarbeiten.
Der hilfreichen Dialog kann während der Behandlung mit dem Therapeuten, später mit dem „verinnerlichten“ Therapeuten geführt und dann selbst übernommen werden.
Viel Vergnügen jetzt mit Ihren Aufgaben.
Sollte es erst nicht so klappen, wie Sie es sich vorstellen, macht nichts. Probieren Sie es einfach noch einmal. Meisterschaft kommt erst nach einer Weile der Übung.