Transaktionsanalyse
(TA = lat. trans = über … hinaus; lat. aktio = Handlung, Tat; gr. analyse = Zergliederung, Auflösung eines Ganzen bzw. Vorganges in seine Glieder bzw. Momente)
Im therapeutischen Prozess werden als „Transaktionen“ die Informationsflüsse in einem Gespräch bezeichnet. Untersucht werden die „über das Gesagte hinaus“ stattfindenden Botschaften, die oft unbewusst in einer Kommunikation wirksam werden. Analysiert wird: „Wer spricht hier eigentlich mit wem?“
Struktur-Analyse
Es wird mit der Hypothese (gr. = Unterstellung, Annahme) gearbeitet, dass sich unser Bewusstsein aus verschiedenen Anteilen zusammensetzt. Im folgenden TA-Modell sind in Bild 1 die verschiedenen Ich-Zustände unterscheiden, die zur Analyse von Transaktionen genutzt werden: Bild 1 zeigt zwei Erwachsene im Kontakt auf der Ebene des ERWACHSENEN-ICH´s. Alle drei Ich-Zustände bilden je eine Person.
Die verschiedenen Ich-Zuständen werden als drei „Kugeln“ und eine Transaktion (z.B. einen Satz) als „Pfeil“ dargestellt.
ELTERN-ICH und KIND-ICH könnten dabei auch als „Halbkugeln“ gesehen werden, die im Erwachsenen dann zur „Vollkugel“ heranreifen und zusammenwachsen.
Für die „Halbkugeln“ liegt ihre andere Seite meist „im Schatten“ – ist nicht bewusst.
Bei jedem Menschen stimmen bestimmte Verhaltensmuster mit bestimmten Gemütslagen überein, während andere Verhaltensstrukturen wieder eng mit anderen seelischen Verfassungen verbunden sind. Gelegentlich stehen diese sogar im Widerspruch zueinander. Diese Veränderungen und Unterschiede brachten den kanadischen Psychiater Eric Berne auf die Idee von verschiedenen Ich-Zuständen.
Jedem Individuum (lat. = das in sich Unteilbare, das Einzelwesen) scheint ein begrenztes Repertoire (franz. = Gesamtheit der für eine Bühne einstudierten Stücke) derartiger Ich-Zustände zur Verfügung zu stehen.
Sie lassen sich in folgende Kategorien (gr. = Gruppen, Klassen) einteilen:
- Ich-Zustände, die denen von Elternfiguren ähneln – ELTERN-ICH – man nimmt die gleiche Geisteshaltung ein wie ein Elternteil (oder Eltern-Stellvertreter) und reagiert so, wie sie/er es getan haben würde, mit der gleichen Haltung, den gleichen Gesten, dem gleichen Vokabular, den gleichen Empfindungen, etc.
- Ich-Zustände, die autonom (gr. = nach eigenen Gesetzen lebend, selbständig) auf eine objektive (= auf ein Objekt bezogene, sachliche) Erfassung der Wirklichkeit ausgerichtet sind – ERWACHSENEN-ICH – gedankliche Prozesse oder gezogene Schlussfolgerungen werden in (möglichst) unvoreingenommener Form vorgetragen.
- Ich-Zustände, die bereits in frühester Kindheit fixiert wurden und immer noch wirksam sind – KIND-ICH – die Art und Weise der Reaktionen entspricht genau denjenigen, die man als kleiner Junge bzw. als kleines Mädchen gezeigt haben würde.
Jeder war früher einmal jünger und besitzt deshalb in seinem Inneren Relikte (lat. = Überbleibsel) aus früherer Zeit. Ebenso hat jeder Mensch Eltern.
Die Art und Weise, wie Eltern und Kind miteinander umgehen, beeinflusst die Ich-Bildung. Dabei haben die Eltern eine wichtige normative (lat. = Norm gebende, Sollwerte aufzeigende) Bedeutung für das Kind. Sie vermitteln gesellschaftliche Werte und Traditionen, machen deutlich, was erwünscht und was unerwünscht ist, bestätigen kindliche Impulse oder haben (bewusst wie unbewusst) ihre eigenen Interessen im Sinn. Entsprechend trägt jedes Individuum Verhaltensmuster, Vorstellungen und Bilder von Ich-Zuständen seiner Eltern als ELTERN-ICH und von den eigenen Antworten darauf als KIND-ICH in sich. Diese Muster werden später, unter bestimmten Bedingungen, wieder wirksam.
Da beide Aspekte zur gleichen Zeit unserer Entwicklung wichtig sind, kommen sie später immer gekoppelt vor; wie die sichtbare und die unsichtbare Seite einer Münze.
Die unsichtbare Seite ist der „Motor“, der Hintergrund, für das sichtbare Verhalten. Das heißt, wenn sich jemand überheblich, arrogant, dominant, etc. darstellt, ist die Quelle davon oft das Gefühl, klein, ängstlich, unterwürfig, etc. zu sein – und umgekehrt.
Jedes Individuum, einschl. der Kinder, hat zudem die Fähigkeit zur sachlichen Übermittlung von Informationen; wenn sich das ERWACHSENEN-ICH aktivieren lässt. Das ERWACHSENEN-ICH verbindet die beiden (früheren) Seiten in einer Synthese (gr. = Vereinigung einer Vielheit zu einer Einheit). Das Ganze bietet dann mehr, als die Summe seiner Teile. Denn über die vorgegebenen Muster der Kindheit hinaus kann das integrierte (lat. = ein Ganzes bildend, sich zusammenschließen) ERWACHSENEN-ICH eigene situationsgemäße und angemessene Reaktion auf Herausforderungen entwickeln und sich eindeutig entscheiden. Die vorherige Zweideutigkeit hebt sich durch das eigenverantwortliche Tun auf.
Oft finden sich, bei genauem Hinschauen, in Beziehungen zwischen Mann und Frau oder Angestelltem und Chef, usw. die bewährten Muster von Früher wieder. Denn Menschen benutzen erfolgreiche Verhaltensmuster, die zu befriedigenden Lösungen geführt haben, immer wieder – in der Annahme, es funktioniert wieder und wieder.
Diese Einsicht bedeutet jedoch, dass wir in neuen Situationen oft Wege beschreiten, die wir in ganz anderen Zusammenhängen und Beziehungen gelernt haben. Es bedeutet auch, dass diese standardisierten Lösungswege in neuen Situationen oft nicht funktionieren.
Oft spiegeln charakteristische Verhaltensmuster früheste Erfahrungen mit den Eltern.
Daher wird im TA-Modell die normative Ebene, das Über-Ich, als ELTERN-ICH bezeichnet. Sie symbolisiert die Rollenvorschriften der Eltern, wie der Gesellschaft, all die Soll- und Muss-Vorschriften, die zuerst andere dem Kind beibringen, damit es bald selbst in der Lage ist, sich mit den erlernten und verinnerlichten Vorschriften selbst Druck zu machen und im bereits existierenden System zu funktionieren.
Die Art der Vermittlung, der Erziehungsstil, wird im Modell auf der Ebene des ELTERN-ICH, als fürsorglich oder anweisend unterschieden.
Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass das ELTERN-ICH sich in einer direkten und einer indirekten Form manifestiert (lat. = an den Tag legen, kundtun): als aktiver Ich-Zustand und als Einflussfaktor.
Ist das ELTERN-ICH direktiv (lat. = Richtlinien setzend), reagiert die Person wie auch ihr Vater (bzw. ihre Mutter) tatsächlich reagiert hat („Tue das, was ich tue!“).
Macht es sich nur als indirekter Einflussfaktor geltend, dann reagiert der Mensch so, wie seine Eltern es von ihm erwartet haben („Tue nicht das, was ich tue, sondern das, was ich dir sage!“).
Beide Arten entspringen, wenn übertrieben eingesetzt, der eigenen unerfüllten, bedürftigen kindlichen Seite der Eltern.
Balanciert, zusammen und wohldosiert, bieten >Fürsorglichkeit< und >anweisendes Grenzen aufzeigen< dem Kind einen guten Entwicklungsrahmen.
Das KIND-ICH ist, wie gesagt, davon nicht zu trennen. Es zeigt sich daher grundsätzlich auch in zwei Formen: angepasst oder natürlich.
Das angepasste KIND-ICH modifiziert (lat. = abändern, abwandeln) das Verhalten unter dem Einfluss der Eltern bzw. später unter dem Einfluss seines verinnerlichten Eltern-Ichs so, wie sein Vater (bzw. seine Mutter) es von ihm erwartet haben: z.B. willfährig oder altklug. Oder es passt sich an, indem es sich zurückzieht oder wimmert. Das Kind reagiert damit auf die Zuschreibungen und den Zuspruch der Großen; sucht es ihnen recht zu machen.
Das natürliche KIND-ICH drückt sich spontan aus. Seine Impulse sind rebellisch oder schöpferisch.
(Berne erläutert seine Struktur-Analyse am Beispiel Alkoholrausch: Gewöhnlich setzt Alkohol Normen außer Kraft. Dadurch wird das angepasste KIND-ICH der Einflusssphäre des ELTERN-ICH´s entzogen und verwandelt sich im Gefolge dieser Loslösung in das natürliche KIND-ICH.)
Im ERWACHSENEN-ICH sind Bedürfnisse (Antriebe) und Regeln (Normen) zusammengewachsen und formen – wenn alles gut geht – die integrierte eigenständige Person. Wenn die Entwicklung also sehr gut läuft, wird das Verhalten des Erwachsenen aus authentischen Empfindungen des Selbst gespeist. Meist aber wird das Handeln aus den erlernten Vorstellungen des Ego (lat. = Ich) geformt; je nach Selbsterfahrung und Bewusstseinsstand.
Jede Art von Ich-Zustand hat ihre eigene lebenswichtige Bedeutung für den menschlichen Organismus. Im KIND-ICH z.B. wohnen Intuition (lat. = unmittelbare Anschauung, inneres, geistiges Schauen), Kreativität (lat. = Schöpferkraft) sowie spontane Antriebskraft und Freude.
Das ERWACHSENEN-ICH ist für die Nutzung der Überlebenschancen unentbehrlich. Es übermittelt Informationen und wertet die Möglichkeiten aus, die von essentieller (lat. = wesentlich) Bedeutung für eine erfolgreiche Bewältigung der Umwelt sind. Seine wesentliche Aufgabe ist es, einen regulierenden Einfluss auf die Tätigkeiten des ELTERN-ICH´s und des KIND-ICH´s auszuüben und zwischen beiden zu vermitteln. Denn beide haben ihre eigenen, oft widersprüchlichen Forderungen und Bedürfnisse.
Das ELTERN-ICH hat zwei Hauptfunktionen. Erstens ermöglicht es dem Individuum, als Elternteil tatsächlich vorhandener Kinder wirkungsvoll zu fungieren (lat. = tätig sein) und so zum Überleben des Menschengeschlechts beizutragen. Zweitens vollzieht sich ein Großteil der Reaktionen des ELTERN-ICH´s ganz automatisch (gr. = selbsttätig), und das bedeutet eine erhebliche Einsparung von Zeit und Energie. Man tut viele Dinge „einfach“, weil man sie so tut; was zahllose Trivialentscheidungen erspart.
Transaktionen-Analyse
Als Transaktionen werden die Informationsflüsse in einem Gespräch bezeichnet. Einmal ist da der Stimulus (lat. = Anreiz), zum Anderen der Respons (lat. = Antwort).
Die einfachsten Transaktionen sind diejenigen, bei denen sowohl der Stimulus als auch die dadurch ausgelöste Reaktion vom ERWACHSENEN-ICH der beteiligten Personen ausgehen (a) – Bild 2). Nur dabei kommt zwischen Erwachsenen ein echter Kontakt zustande. (Beispiel: Jemand bittet am Tisch um das Salz, ein anderer reicht es ihm.) Das gilt so auch für das Kindesalter, denn da sind die Beziehungen zwischen ELTERN-ICH und KIND-ICH stimmig (b) – Bild 2). (Beispiel: Das fieberkranke Kind bittet um ein Glas Wasser und die Mutter bringt es ihm.)
Solche Transaktionen nennt man komplementär (lat. = ergänzend).
1. Kommunikationsregel – jede Kommunikation (lat. = Mitteilung, Verbindung) vollzieht sich so lange reibungslos, wie die Transaktionen ihren komplementären ( lat. = ergänzend) Charakter wahren.
Zeigen sich aber im Erwachsenenalter Verhaltensmuster, wo ELTERN-ICH oder KIND-ICH im Gegenüber angesprochen werden bzw. antworten, kommt es zur so genannten „Über-Kreuz-Kommunikation“, einem Pseudokontakt (Bild 3). Das heißt: Offensichtlich spricht man zwar mit seinem erwachsenen Körper zum erwachsenen Gegenüber, innerlich findet aber ein ganz anderer Prozess statt. So kommt es zu Missverständnissen und eskalierender Kommunikation; man wiederholt, wird lauter und heftiger, um Gehör zu finden – aber das Gegenüber versteht und antwortet auf dem „falschen Kanal“. Nach der Vorstellung „mehr bringt mehr“ wird die Investition (lat. = Kapitalanlage zu gewinnbringenden Zwecken) in die Beziehung erhöht; allerdings ohne den gewünschten Erfolg; dafür aber mit einem oft von früher vertrauten Frust, der irgendwann zur Resignation (lat. = Verzichtsleistung, Fügung in sein Schicksal) führt. Das ein ist die laute, das andere die stille Eskalation.
2. Kommunikationsregel – die Kommunikation wird unterbrochen, wenn es zu einer Überkreuz-Transaktion kommt.
Diese Kommunikationsabbrüche sind häufig und bei allen möglichen sozialen Komplikationen in der Welt, in der Ehe, der Liebe, der Freundschaft und im Berufsleben zu beobachten.
Der Stimulus leitet sich aus einer Transaktion zwischen ERWACHSENEN-ICH und ERWACHSENEN-ICH ab, z.B. „Weißt du, wo meine Manschettenknöpfe sind?“. Die angemessene Reaktion von ERWACHSENEN-ICH zu ERWACHSENEN-ICH wäre z.B. „Auf dem Schreibtisch.“ – Wenn der reagierende Partner aber aufbraust und z.B. „Immer gibst Du mir die Schuld an allem!“ antwortet, kommt die Antwort aus dem KIND-ICH zum ELTERN-ICH. Das ist hier unangemessen und die Lösung des Problems wird wohl noch lange auf sich warten lassen.
Die Verstrickung der Gesprächspartner ist dann unausweichlich, wenn der Stimulus „Immer gibst Du mir die Schuld an allem!“ aufgegriffen wird und der anfängliche Frager sein ELTERN-ICH als Komplementärfaktor zum Tragen bringt und damit das Gegenüber in seinem KIND-ICH bestätigt. Damit wird der sich herabgesetzt fühlen und erneut eine KIND-ICH-Position aufrufen oder kompensatorisch (lat. = ausgleichend) seine ELTERN-ICH-Seite. Im so entstehenden Pseudokontakt fallen dann zwar noch Worte (häufig verletzende), aber es kommt kein Kontakt mehr zustande. Der Kontaktabbruch ließe sich nur noch durch eine Metakommunikation (gr. / lat. = von höhere Ebene aus sprechen) aufheben: beide Gesprächsteilnehmer reden auf der höherer Ebene wieder von ERWACHSENEN-ICH zu ERWACHSENEN-ICH über das, was da gerade geschieht und analysieren (gr. = untersuchen) ihr Tun.
Oberflächliche Beziehungen bleiben auf einfache Transaktionen beschränkt; sie lassen sich leicht durch Überkreuz-Transaktionen aus dem Gleichgewicht bringen.
Komplexer sind die verdeckten Transaktionen, bei denen mehr als zwei Ich-Zustände gleichzeitig wirksam werden. Diese Kategorie bildet die Grundlage für verschiedene „Spiele“ der Erwachsenen.
z.B. ein Handelsvertreter: „Dieser Apparat hier ist besser, aber den können Sie sich nicht leisten.“ Hausfrau: „Genau den werde ich nehmen.“
An dieser Angulär (lat. = eckig, winkelig) –Transaktion (Bild 4) sind drei Ich-Zustände beteiligt: Der Vertreter trifft mit seinem ERWACHSENEN-ICH zwei objektive Feststellungen. Diese richten sich auf der äußerlichen, vorgeschobenen sozialen Ebene an das ERWACHSENEN-ICH der Hausfrau, das nun seinerseits antworten müsste: „Sie haben in beiden Punkten recht.“ Die trickreiche, versteckte psychologische Botschaft des Verkäufers wendet sich aber an das KIND-ICH der Hausfrau. So emotional angesprochen lautet ihre Antwort sinngemäß: „Ohne Rücksicht auf finanzielle Konsequenzen werde ich diesem arroganten Burschen schon zeigen, dass ich mir ebensoviel leisten kann wie seine anderen Kunden!“
Auf beiden Ebenen finden hier sich ergänzende, also Komplementär-Transaktionen statt; denn die Antwort der Hausfrau wird für bare Münze genommen und als Annahme des Kaufangebots zwischen den Erwachsenen akzeptiert.
Bei einer Duplex (lat. = doppelt) –Transaktion (Bild 5) sind vier Ich-Zustände beteiligt; man findet sie im allgemeinen bei Flirt-Spielen. z.B. Cowboy: „Schauen Sie sich doch mal die Scheune an.“ Besucherin: „Schon als kleines Mädchen habe ich immer eine Vorliebe für Scheunen gehabt.“
Auf der sozialen Ebene handelt es sich um eine von den ERWACHSENEN-ICH´s getragene Unterhaltung über Scheunen; auf der psychologischen Ebene reden die jedoch die KIND-ICH´s über Liebesspiele. Äußerlich betrachtet scheint die Initiative beim ERWACHSENEN-ICH zu liegen, aber, wie bei den meisten „Spielen“, gibt hier das KIND-ICH den Ausschlag darüber, was bei der Unternehmung herauskommt. Den beteiligten Personen steht möglicherweise eine Überraschung bevor.
Betrachten wir zum Schluss noch eine Beziehungsdynamik mit Hilfe des Modells.
Bei der Partnersuche benutzen viele das Bild des griechischen Philosophen (gr. = Freund der Weisheit) Platon: „Liebende suchen ihre verlorene andere Hälfte“. (Anhang)
Diese Vorstellung führt zu einer Konstellation (lat. = Zusammentreffen von Umständen), die in jedem Fall zum Scheitern der Beziehung führen muss:
Kindheit war für alle, auf die eine oder andere Weise eine Erfahrungen von Mangel ebenso wie von Fülle. Nur registrieren wir das Volle als abgeschlossen, während Mängel als unerledigt erinnert werden.
Bei der Partnersuche spielen Bekanntheit wie Vertrautheit von Verhaltensmustern und Umgebungsfaktoren eine wichtige Rolle, aber auch das noch Unerledigte wird wirksam. So werden Partner oft aus der KIND-ICH-Position heraus gesucht. Besonders geeignet, um das eigene kindliche Defizit auszugleichen, wirkt da jemand, der in der ELTERN-ICH-Position stark zu sein scheint. – Hatte nicht der verliebte, fürsorgliche Partner „versprochen“, meine früheren Defizite auszugleichen? Nein, das war nur der Klebstoff, der die beiden „halben Portionen“ zusammenbrachte.
Leider bringt der erste heiße Zusammenprall dieser „Halbkugeln“ KIND-ICH und ELTERN-ICH nur einmalig Kontakt. Jede Bewegung auseinander schmerzt nun, da sie an das alte kindliche Defizit erinnert. Also bleiben die beiden eng beieinander und
sehen im anderen ihr Heil. Auf diese Weise „eins geworden“ ist die Beziehung zu Ende! Denn wer will sich hier auf wen beziehen? Beide hängen ja nun symbiotisch (gr. = Zusammenleben zweier Lebewesen verschiedener Art, das für beide Teile von Vorteil ist) zusammen. Die Beziehung „lebt“ einen Pseudokontakt und verbirgt das Unheil.
Um wirklich in Beziehung zu kommen, müssten die Beiden (halben, unbewussten „Kugeln“) sich trennen. Nur dann können sie sich aufeinander beziehen und sich wieder und wieder kontaktieren. Dazu müssten die Partner erkennen, dass die fehlende Hälfte, die einem der Partner zeigt, das Potential (lat. = die Möglichkeit, Leistungsfähigkeit) ist, dass man selbst zu entwickeln hat, als ERWACHSENEN-ICH. Zu diesem eigenen heil werden, also zum vollständige, bewusste „Kugel“ sein, muss der Teil, der bisher im „Schatten“ liegt und daher unsichtbar ist, erkannt und entwickelt werden. Dabei kann der Partner mit seiner Andersartigkeit, die es ebenfalls zu entdecken gilt, helfen.
Wird aber die eigene Arbeitsaufgabe nicht erkannt und stattdessen Glück und Heil vom anderen erwartet, wird eines Tages ein Partner, oder beide, erkennen müssen, dass der Andere nicht dem erwarteten Bild entspricht. Sie/Er ist nicht das, was man während der Verliebtheit in sie/ihn hineingesehen hat. Unsere Projektionen (lat. = Hinausverlegen) zeigen uns schließlich nur uns selbst! Dies nicht erkennend, wird gefolgert: sie/er ist nicht die/der Richtige! Folgerichtig wird bei neuen Partnern weitergesucht, ob nicht irgendwo „die/der Richtige“ zu finden sei.
Nein, keine Chance! „Die oder den Richtigen“ gibt es nicht.
Es gibt nur das eigene rechte Verstehen: ich habe meine im „Schatten“ liegenden Anteile zu integrieren (lat. = sich zusammenschließen, ein Ganzes bilden), anzunehmen und zu entwickeln.
Dann brauche ich niemanden mehr – und kann, nun selbst „ein Ganzes“, mit einem anderen Ganzen in Kontakt treten. Erst dann können wir uns an unserer ganzen Oberfläche berühren, uns öffnen und mit dem spielen, was wir zusammen mehr sind als wir je, selbst in der Summe unserer Teile, ausmachen könnten.
Dieser Kontakt ist freiwillig. Das ist sein besonderes Wesen. Allein durch meine Hinwendung wird ein Partner etwas besonderes. Freiheit entsteht dann durch die gegenseitige, wie gesagt, freiwillige Verpflichtung. Das muss passen. Denn diese Beziehung wird nicht gebraucht und doch ist sie sehr wichtig. Gerade dass niemand abhängig ist, macht diese Bindung so attraktiv. Jeder kann immer wieder loslassen und den Anderen neu finden. So bleibt die Liebe grundlos und wird Sinnspendend.
Anhang (aus: Paulo Coelho, Onze minutos, 2003)
Platon zufolge waren Männer und Frauen zu Beginn der Schöpfung nicht was sie heute sind; es gab nur ein Wesen – klein, ein Körper, ein Hals und ein Kopf mit zwei Gesichtern, von denen jedes in eine andere Richtung blickte. So, als wären zwei Geschöpfe mit dem Rücken aneinandergeklebt, mit zwei verschiedenen Geschlechtern und mit vier Beinen und Armen.
Die Götter der alten Griechen aber waren eifersüchtig und erkannten, dass ein Geschöpf mit vier Armen mehr arbeiten konnte. Zudem hielten die beiden Gesichter ständig Wache, und daher konnte das Wesen nicht aus dem Hinterhalt angegriffen werden. Es verbrauchte weniger Energie, konnte mit vier Beinen länger laufen oder stehen. Und noch gefährlicher: Dieses Wesen war zweigeschlechtlich, es konnte sich also eigenständig fortpflanzen.
Da sagte Zeus, der oberste Gott im Olymp: „Ich habe einen Plan, um diesen Sterblichen die Kraft zu nehmen.“
Und mit einem Blitz spaltete er das Wesen in zwei Teile und schuf so Mann und Frau. Die Erdenbewohner verdoppelten sich dadurch mit einem Schlag, wurden aber gleichzeitig orientierungslos und schwach: nun mussten alle nach ihrem verlorenen anderen Teil suchen, ihn umarmen und in dieser Umarmung die alte Kraft wiedererlangen, die Fähigkeit zur Eintracht, die Zähigkeit, die es braucht, um lange Wege zurückzulegen und ermüdende Arbeit zu ertragen. Diese Umarmung, in der die beiden Körper wieder miteinander verschmelzen, nennen wir Sex.